Grundlagen - Sense of Place und Ownership
Wer nicht gerade aus dem Münsterland kommt, hört den Namen Saerbeck vermutlich zum ersten Mal. Saerbeck unterscheidet sich baulich nicht von anderen Münsterländer Gemeinden, weist eine eher dürftige Anbindung des ÖPNVs auf und muss sich ebenso den Herausforderungen des demografischen Wandels stellen. Und dennoch muss die Gemeinde etwas entwickelt haben, dass sie 2009 zur „NRW-Klimakommune der Zukunft“ ausgezeichnet wurde. Um nachzuvollziehen, wie sich Orte wie Saerbeck zur Vorreiterrolle der Energiewende entwickeln konnten, kann die Erschließung des Sense of Place eine unterstützende Funktion einnehmen. Der Sense of Place beschreibt die Essenz des Ortes, indem die bestehenden Assoziationen, Emotionen und besonderen Eigenschaften, die mit einem Ort in Verbindungen gebracht sind, in den Kontext gesetzt und analysiert werden (Nicholls 2009). Wie nehmen die Verantwortlichen der Klimakommune den Ort wahr und was zeichnet das gerade mal 7200-Einwohner-Dorf aus?
Der Zusatz Klimakommune ist für viele in Saerbeck Tätigen nicht nur ein Zertifikat zum Nachweis klimaschützender Aktivitäten. Nein, viel mehr! Es ist ein Spiegelbild dessen, was hier über viele Jahre hinweg erwachsen ist. „Wir haben eine stark engagierte Bürgerschaft“, die auch vor der Umsetzung eines 90 Hektar großen Bioenergieparks nicht Halt machen wollte. Man scheint schon überrascht, „dass eine relativ kleine Kommune es schafft, soetwas überdimensionales auf die Beine zu stellen. Auch den Mut zu haben.“ Und dennoch produzieren sie durch Erneuerbare Energien doppelt so viel Strom als sie benötigen. Das „charmante, kleine, ländliche Dorf“ zeichnet sich durch die Kombination aus „Machermentalität und dass alle mitangepackt haben“ und der gemeinsamen Zielvorstellung, sich „Klimaneutralität hier so auf die Fahne“ zu schreiben aus.
In Verbindung zum Saerbecker Sense of Place, also dem Aktionismus und Gemeinschaftsgefühl, wurde ein Gefühl der Zugehörigkeit mit dem Ort und seinen Zielen geäußert. Gerade das Gefühl, etwas zu besitzen, Verantwortung übernehmen zu wollen oder sich mit etwas zu identifizieren, kann als wichtiges Schlüsselmoment für den Erfolg der Klimakommune betrachtet werden. In Saerbeck fühlt man sich „verantwortlich [dafür], wie es weitergehen kann“ und Einzelne beschreiben sich „als Teil der Klimakommune“, wo die „die Arbeit extrem viel Spaß“ mache. Energieversorger, Zugezogene, ehrenamtliche Pädagogen, immer wieder wurde von einer großen Verbundenheit mit der Klimakommune und dem Ort an sich berichtet, wie auch in diesem im Interview mit einer hauptamtlichen Person der Klimakommune deutlich wird:
„Also ich identifiziere mich mittlerweile eigentlich recht stark mit dem Ziel. Und ich freue mich auch, da in der Gemeinde etwas umsetzen zu können in Projekten und die Klimakommune auch weiter voranbringen zu können und fühle zumindest auf dieser Ebene eine wesentlich stärkere Verbundenheit als zu meinem Heimatort.“
Aus den bisherigen Aussagen geht eine gewisse mentale Eigentümerschaft (engl. Psychological Ownership) hervor. Dies beschreibt das Gefühl von (Mit-)Eigentum gegenüber materiellen (ein eigenes Auto) oder immateriellen Objekten (vgl. Pierce, Kostova & Dirks 2001: 299). Charakteristisch für Ownership ist zudem die psychologische Bindung an das Objekt, welche zu einem Teil eine identitätsstiftende Komponente innehat (vgl. Beggan 1992: 229; Dittmar 1992: 43). Wer sich mit Saerbeck verbunden fühlt, nimmt dies in die Wahrnehmung der eigenen Identität auf. Und wenn eine Kommune eine nachhaltige Gemeindepolitik verfolgt, erhöht das die Chance, dass nachhaltige Handlungen logischer und zur eigenen Identität kohärenter erscheinen.
Das Konzept zeigt, dass Eigentum nicht physisch sein muss, sondern auch abstrakte Einheiten oder Gebilde sein können wie Ideen, Werte oder Konzepte (Pierce et al. 2001). So können sich Personen beispielsweise Kommunen aufgrund übereinstimmender Werte oder ihrem konkreten Büroplatz zugehörig fühlen, ohne dass es der Person tatsächlich gehören muss. Zu Ownership gehört ebenso das Gefühl, des persönlichen oder kollektiven Nutzens. Stolz wird von dem Gefühl kollektiver Wirksamkeit berichtet:
„Wir haben eine Menge bewegt, eine Menge hingekriegt, das ist ein messbares Ergebnis, das man anfassen kann und das ist schon schön.“
So wurde Saerbeck von „einem Wohnort“ zu „meiner Klimakommune“ vieler Saerbecker:innen. Ein Ort, der sich durch Werte auszeichnet, mit denen sich die Anwohnenden identifizieren können, bereit sind, sich zu beteiligen und durch den empfundenen Zugewinn wie die Vernetzung, den Lernzuwachs oder der Übertragbarkeit auf eigene Projekte, mit mehr Verantwortungsgefühl für das Wirken der Kommune stehen.
„[…] wir können hier in Saerbeck ja in unseren kleinen Dörfchen so viele Sachen machen, wie wir wollen und das hat überhaupt keine Auswirkungen auf das Weltklima. Und letztendlich geht es ja um den Klimawandel. Wir können keine Käseglocke über Saerbeck bringen und wir machen für uns alles grün und dann ist gut. Wenn wir es nicht schaffen, das was wir hier vor Ort erreichen an die Welt da draußen weiterzugeben und die übernimmt das, dann hat das Ganze im Prinzip gar keinen Wert.“
Literatur
Hansen, T.; Coenen, L. (2015): The geography of sustainability transitions: review, synthesis and reflections on an emergent research field, Environ. Innov. Soc. Trans. 17 , 92–109, https://doi.org/10.1016/j.eist.2014.11.001.
Pierce, J.; Kostova, T.; Dirks, K., (2001): Toward a theory of psychological ownership in organizations. Acad. Manag. Rev. 26, 298–310. doi: 10.5465/amr.2001.4378028 .
Nicholls, W. (2009): Place, networks, space: theorising the geographies of social movements, Trans. Inst. Br. Geogr. 34, 78–93.
Van Dyne, L., Pierce, J.L., 2004. Psychological ownership and feelings of possession: three field studies predicting employee attitudes and organizational citizenship behavior. J. Organ. Behav. 25, 439–459. doi: 10.1002/job.249.
WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011): Hauptgutachten. Welt im Wandel - Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation; Berlin: WBGU.
Dies sind die Ergebnisse eines durch das BMBF geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojektes zwischen dem IPN Kiel und dem Förderverein Klimakommune Saerbeck e.V. Gegenstand war u.a. die wissenschaftliche Begleitung der Klimakommune in Fragen der Bürgermitwirkung sowie der Identifikation von Wirkungs- und Erfolgsfaktoren.