Grundlagen - Gemeinwohlgemeinde
Keine andere Gebietskörperschaft ist näher an ihren Bürger:innen als die Kommune. Während die kommunalen Aufgaben einerseits von Bund und Land festgelegt werden, muss sie zugleich adäquat auf die stets wechselnden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der Gegenwart reagieren. Dabei rückt der Begriff des Gemeinwohls vermehrt in den Fokus und Auswirkungen von Globalisierung, Privatisierung und Digitalisierung verschärfen den Druck, der Daseinsvorsorge gerecht zu werden. Warum es nicht nur zukunftsweisend, sondern auch lukrativ erscheint, das politische Handeln auch nach gemeinwohlorientierter Strom- und Wärmeversorgung auszurichten, soll am Beispiel Saerbeck verdeutlicht werden.
Wie genau ist der Gemeinwohlbegriff für Kommunen rechtlich verankert? Im Grundgesetz heißt es, „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ (Artikel 14 Abs. 2). Das Baugesetzbuch nimmt diesen Faden auf und strickt ihn weiter: Bauleitpläne sollen „eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten” (§ 1 Abs. 5). Wenn von Gemeinwohl gesprochen wird, soll laut der Nordrhein-Westfälischen Gemeindeordnung §1 Abs. 1 die Gemeinde „zugleich in Verantwortung für die zukünftigen Generationen“ handeln. |
Das kommunale Gemeinwohl verbirgt sich in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge: Ob bezahlbarer Wohnraum, gute infrastrukturelle Anbindung, Hochwasserschutz oder vielfältige Kulturangebote von Jung bis Alt. Ein großer Anspruch für die unterste Ebene der Gebietskörperschaften. Aber: Die Vereinbarkeit der Interessen von Mensch, Natur, Politik, Wirtschaft und Kultur kann nirgendwo so gut umgesetzt werden wie auf der Ebene der Gemeinde und sollte unserer Meinung nach stärker als Waffe für Nachhaltigkeit genutzt werden.
„Die Gemeinde muss das Heft des Handelns in der Hand haben.“
Wenn Gemeinden den Weg der Klimaneutralität anvisieren, dann ist das vor dem Hintergrund der Klimakrise eine wichtige Aufgabe hinsichtlich ihrer Daseinsvorsorge. Durch Gemeinden können alle auf der Kommunalebene agierenden Institutionen miteinander verflochten werden und sich gemeinsam den neuen Anforderungen in Sachen Klimaschutz stellen. Nur solange die Kommune das Recht und den Zugriff auf kommunale Güter behält, ist sie in der Lage, das Gemeinwohl im Sinne der Gemeindebewohner:innen sicherzustellen. Ein Interviewpartner aus unserer Interviewstudie berichtete:
„Wir hatten auch Angebote von vielen Investoren, die die Fläche kaufen wollten, was machen wollten, da haben wir aber alle gesagt und ich glaube, das war fast einstimmig die Ratsentscheidung 'Nein, wir machen das hier anders, wir nehmen vom ersten Tag an die Bürger mit'. Und das ist auch, glaube ich, aus Saerbecker Sicht das Erfolgserlebnis.“
Entlang der folgenden Interviewpassagen wird deutlich, wie gemeinwohl-orientierte Gemeindepolitik bereits in Saerbeck praktiziert wird:
- Bürgerbeteiligung: „Es gab relativ viele Bürgerversammlungen, wo das Thema vorgestellt wurde oder eben den Tag der offenen Tür oder Führungen durch den Bioenergiepark als der noch ein Munitionsdepot war.“
- Bürgerwindpark: „Daraus ist eine Genossenschaft gebildet worden. Dann haben 400 Saerbecker das Eigenkapital für diesen Topf für eine Millionen Euro teure PV-Anlage zusammengetragen. Und dann haben wir gesagt, das ist eure Entscheidung, wo ihr die PV-Platten drauf baut. Ihr habt einfach die gesamte Fläche, die kriegt ihr von uns. […] Dann haben wir das noch prozentual gestaffelt, dass wir gesagt haben, die ersten Jahre weniger, das erhöht sich nachher, damit ihr erstmal Wasser unter den Kiel bekommt und das ganze Ding anlaufen lasst.“
- Unterstützen von Genossenschaften: „Nö, also wir sind ja zu Anfang der Stromwende, haben wir ja auch den PV-Bereich ziemlich gut beackert und haben die Saerbecker sehr enorm beraten im Bereich, welches Dach eignet sich, was kann hier gehen und haben ganz viel informiert und haben schlussendlich für manche auch die Berechnungen angestellt oder kleine Genossenschaften gegründet oder dabei geholfen, dass da so Netzwerke entstanden sind.“
- Vereine: „Wir haben ein extrem reges Vereinsleben, sehr breit aufgestellt, aber mit dem Vorteil, so empfinde ich das z.B., wir haben einen Sportverein. Wir haben nicht drei Sportvereine und man sucht sich einen aus, sondern wir haben halt den einen großen Sportverein und jeder der sagt, Sport ist was für mich, ist dann da im Verein und macht dann da irgendwas.“
- Vorbildfunktion: „Da wollen wir diejenigen sein, die mit einem guten Beispiel vorangehen.“
Wie misst man Gemeinwohl? Die Gemeinwohl-Ökonomie zertifiziert eine gemeinwohl-orientierte Wirtschaftsweise.
Mittlerweile sieben Gemeinden, Tendenz steigend, haben sich einer sogenannten Gemeinwohl- Bilanz für Kommunen unterzogen. Anhand eines umfangreichen Kriterienkatalogs wird die Gemeinwohl-Orientierung der Gemeinde bewertet und in eine Gemeinwohl-Matrix überführt, die öffentlich mit dem dazu erstellten Gemeinwohl-Bericht einsehbar ist. Zu den Kriterien gehören mitunter Achtung der Menschenwürde in der gesamten Lieferkette, soziale Gerechtigkeit und ökologische wie soziale Nachhaltigkeit. Was nach einer netten Idee klingt, wird heute bereits von über 2200 Unternehmen in über 50 Ländern unterstützt. Als eine zivilgesellschaftliche hat sich die Gemeinwohl-Ökonomie zum Ziel gesetzt, das wirtschaftliche Handeln stärker mit den demokratischen Grundwerten und sozialen und ökologischen Zielsetzungen der Vereinten Nationen in Einklang zu bringen
Das Fazit der ersten sieben Gemeinden – darunter auch in den Nachbarorten Brakel, Steinheim und Willebadessen? Die Maximalpunktzahl von 1000 Punkten erhielt bislang keine Gemeinde, dies sei auch nicht das Ziel, so die Bürgermeister. Vielmehr ginge es um die intensive Auseinandersetzung mit gemeinwohlförderlichen Maßnahmen und der Aufdeckung blinder Flecken. Die erste Bilanzierung, die nach rund 2 Jahren erneuert werden muss, dient als ein Ausgangspunkt und verhilft der Gemeinde dazu, dem business as usual mit innovativen Ideen und partizipativ entgegenzuwirken. |
Die Feststellung, wie sehr ein Unternehmen oder eben eine Gemeinde das bestmögliche Gemeinwohl erreicht, soll den strengen Blick nach der Wirtschaftlichkeit wieder mit weiteren Aspekten wie Transparenz, Gerechtigkeit oder Umweltschutz ergänzen und somit eine ganzheitliche Betrachtung des Wirtschaftens ermöglichen. Langfristig soll der Gemeinwohl-Score darüber entscheiden, wie erfolgreich ein Unternehmen oder eine Gemeinde wirtschaftet. Auf diesem Wege soll bottom-up der Wandel von einer auf Profit und Konkurrenz ausgerichteten Marktwirtschaft hin zu einer gemeinwohlorientierten Ökonomie gelingen können. Dieser Wandel vollzieht sieht nicht durch rigides Durchsetzen weniger Entscheider:innen, sondern durch Teilhabe und Mitbestimmung der Bürger:innen, Unternehmer:innen und Angestellten, die diesen Prozess stetig mitgestalten und weitertragen sollen. Die Gemeinwohl-Ökonomie begleitet, gibt aber nichts als einen Kriterienkatalog mit Vorschlägen vor, um den Bilanzierenden die Möglichkeit zu geben, individuelle Besonderheiten zur Geltung bringen zu können.
Dies sind die Ergebnisse eines durch das BMBF geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojektes zwischen dem IPN Kiel und dem Förderverein Klimakommune Saerbeck e.V. Gegenstand war u.a. die wissenschaftliche Begleitung der Klimakommune in Fragen der Bürgermitwirkung sowie der Identifikation von Wirkungs- und Erfolgsfaktoren.